Wenn der Prozess zur Satire wird

Zu Risiken und Nebenwirkungen von Baurechtsstreitigkeiten

Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Der Satz ist so bekannt wie abgedroschen und manchmal nur die faule Ausrede eines überforderten Anwalts. Aber ein Stück Wahrheit steckt eben doch darin.

Bevor sich einer frohgemut auf einen Bauprozess einlässt, sollte er wissen: Richter sind auch nur Menschen. Genauso wie Sachverständige, Anwälte und deren Mandanten. Bei manchen Richtern wirkt sich das so aus, dass sich die rechtliche Beurteilung aus dem Auslegungsgrundsatz des geringsten Aufwandes ergibt. Ist womöglich der Vertrag nichtig? Gibt es eine Kündigung oder sonst ein Ereignis, das mit halbwegs plausibler Begründung erlaubt, eine Beschäftigung mit den im Streit stehenden Baumängeln zu vermeiden? Dann spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein überlasteter Richter (ob nur gefühlt oder tatsächlich, sei dahingestellt) ein dahingehendes Urteil fällt. Eine Partei, die findet, dass das etwas zu kurz gegriffen ist, kann ja bitteschön in Berufung gehen.

Eine Gelegenheit, die Parteien gleich zu Beginn des Verfahrens zu entmutigen, ist die vom Gesetz vorgeschriebene, sogenannte Güteverhandlung. Diese soll im ersten Termin noch vor der Erörterung der Sach- und Rechtslage stattfinden. Ein milde-müde dreinschauender Richter erklärt dann den Parteien: „Wissen Sie, in meiner 13jährigen Erfahrung in Bausachen … und die voraussichtlichen Sachverständigenkosten … ganz abgesehen von der Dauer des Verfahrens … Wollen Sie sich nicht vergleichen? Ich schlage vor, Sie machen Halbe, Halbe!“ Der Anwalt möchte aus dem Anzug springen. Aber seine Mandantschaft ist nicht mehr ganz so jung und braucht das Geld erst recht. Also fifty-fifty.

Auch schlichte Schusseligkeit soll gelegentlich vorkommen. Da beichtet der Richter zerknirscht, dass die Kassette mit der Aufzeichnung der anderthalbstündigen Zeugenvernehmung vor Abschrift durch die Geschäftsstelle einfach spurlos verschwunden sei. Die Zeugenvernehmung müsse deshalb wohl wiederholt werden …

Manche Richter verstehen es auch, Sachverständige so einzusetzen, dass sie die Arbeit erstmal vom Hals haben. Da gibt es einen wolkig formulierten Beweisbeschluss, den der Sachverständige nach Gutdünken auslegen kann. Dieser Sachverständige mag sich dann berufen fühlen, vollkommen andere Untersuchungen vorzunehmen und ganz andere Fragen zu beantworten, als das, was Gegenstand des Streits zwischen den Parteien ist. Im besten Fall garniert der Sachverständige seine Ausführungen noch mit rechtlichen Bewertungen. Zwar ist das von der Zivilprozessordnung nicht vorgesehen. Aber manche Sachverständige halten das für ein Versehen des Gesetzgebers, das zu korrigieren ist. Die Anwälte können dann zusehen, wie sie Äußerungen des Sachverständigen, die über das zulässige Beweisthema hinausgehen, wieder aus der Welt geschafft bekommen. Ein fast unmögliches Unterfangen.

Bei Richtern und Sachverständigen, die ein sehr eigenwilliges Verständnis der Rechtslage zeigen, muss der Anwalt dann alle prozessualen Register ziehen. Es kommt die sogenannte Flucht in die Säumnis in Betracht. Der Anwalt stellt dann im Termin keinen Antrag, nimmt gegen seine eigene Partei damit ein sogenanntes Versäumnisurteil in Kauf, gegen das aber innerhalb von zwei Wochen Einspruch eingelegt werden kann. Mit diesem Einspruch besteht die Gelegenheit, nochmal alle Argumente aufzubereiten und auf die Rechtsauffassung des Gerichts einzugehen. Aber da Richter auch nur Menschen sind, lassen sie sich auch mit sorgfältig dargestellten und stichhaltigen Argumenten nur ungern von einer einmal gefassten Meinung abbringen.

Wenn es gar zu schräg läuft, kann der Anwalt Befangenheitsantrag stellen. Sympathiepunkte sammelt er damit nicht. Im allerbesten Fall sieht der Richter ein, dass er es womöglich doch etwas zu bunt getrieben hat und führt anschließend die Verhandlung mit etwas mehr Sorgfalt. Allerdings werden Befangenheitsanträge grundsätzlich immer abgelehnt. Und so ist der Befangenheitsantrag ein letztes Mittel und ein Ausrufungszeichen schon für die nächste Instanz, dass sich eine Partei willkürlich behandelt sieht.

Ich will klarstellen, dass dies hier keine wohlfeile und pauschale Justizkritik sein soll. Sehr viele Richter erfüllen Ihr Amt mit größter Kompetenz, Sorgfalt und Einsatz. Aber gelegentlich menschelt es halt auch. Neben dem finanziellen, zeitlichen und arbeitsmäßigen Einsatz, den ein Prozess für die Parteien bedeutet, ist daher auch der Faktor Mensch in die Risikoabwägung einzubeziehen. Meine Empfehlung lautet, so lange wie möglich selbst die Kontrolle über das Geschehen in der Hand zu behalten und sich mit der anderen Seite sehr ernsthaft um eine außergerichtliche Einigung zu bemühen. Womöglich ist aber ein Prozess der einzig noch mögliche Weg. Dann sollte man nur wissen, worauf man sich einlässt.

Rechtsanwalt Percy Ehlert
Immobilien- und Baurecht

kanzlei@anwalt-ehlert.de

Artikel als pdf-Datei: Wenn der Prozess zur Satire wird