Privatgutachten oder selbständiges Beweisverfahren?

Zum Einsatz von Sachverständigen in Baustreitigkeiten

Bei Baustreitigkeiten geht es sehr häufig um Mängel. Wurde gebaut, was vereinbart wurde? Entspricht die Bauleistung den anerkannten Regeln der Technik? Da Bauherren, Anwälte und Richter meist nur begrenzten Sachverstand haben, solche Fragen zu beurteilen, brauchen sie einen Sachverständigen.

Viele Rechtsstreitigkeiten entstehen durch Streit um Mängel und wer die Verantwortung dafür trägt. Der Gesetzgeber hat sich gedacht, dass sich der Streit bestimmt rasch beenden lässt, wenn festgestellt wird, ob ein Mangel besteht und wer die Verantwortung dafür trägt. Er hat darum in der Zivilprozessordnung das sogenannte Selbständige Beweisverfahren eingeführt, mit der Absicht, diese Fragen kurz und bündig durch einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen klären zu lassen. Das ist eine ganz prima Idee, die nur nach meiner Erfahrung in der Praxis überhaupt nicht funktioniert.

Nach meiner Beobachtung dauern Selbständige Beweisverfahren ewig. Die Parteien und ihre Anwälte zanken sich um formale Details und die Verarbeitung bei Gericht dauert so ihre Zeit. Bis allein der Kostenvorschuss für den Gutachter geklärt ist, können schon mal acht Wochen vergehen. Dann muss sich der Sachverständige an die Arbeit machen. Auch das kann dauern. Ich habe mal einen Sachverständigen gefragt, warum es manchmal ein Vierteljahr dauert, bis manche seiner Kollegen überhaupt ein Lebenszeichen von sich geben. Dieser Sachverständige hat mir freimütig geantwortet: „Wenn ich die Beweisfrage bescheuert finde, kann das bei mir auch schon mal ein halbes Jahr dauern!“

Ich habe auch noch nie erlebt, dass dann, wenn ein Gutachten endlich vorliegt, die vom Gesetzgeber erhoffte Befriedungswirkung eintritt, die Parteien sich einigen und ein Gerichtsverfahren in der Hauptsache überflüssig wird. Im Gegenteil war es immer so, dass die Partei, für die das Gutachten nicht günstig ausgefallen ist, genau wusste, dass der Sachverständige keine Ahnung hat oder korrupt und jedenfalls das Gutachten nicht zu gebrauchen ist.

Ein selbständiges Beweisverfahren kommt für mich deshalb nur dann in Betracht, wenn die Gegenseite den Zugang zu dem Objekt verweigert, an dem Untersuchungen zu einem Schaden oder Mangel und zu der Ursache durchgeführt werden müssen. In allen anderen Fällen empfehle ich, selber einen Sachverständigen zu suchen und ein Gutachten erstellen zu lassen. Wenn die andere Seite vernünftig ist, kann man sich womöglich sogar auf einen gemeinsamen Gutachter einigen. Aber auch, wenn die andere Seite nicht mitmacht, hat aus meiner Sicht ein Privatgutachten nur Vorteile.

Man kann

  • vorab den Kostenumfang klären und Preise vergleichen;
  • vor Vergabe des Auftrags klären, bis wann das Gutachten vorliegt;
  • bei Bedarf den Untersuchungsauftrag rasch anpassen.

Sobald das Gutachten vorliegt, besteht (hoffentlich) Klarheit,

  • ob ein Mangel vorliegt;
  • wer ihn zu verantworten hat;
  • welcher Aufwand erforderlich ist, um den Mangel zu beseitigen.

Bei Vorlage eines seriösen Gutachtens ist der für den Mangel Verantwortliche vielleicht sogar bereit, diesen zu beseitigen oder eine Minderung zu akzeptieren. Wenn es aber doch zum Rechtsstreit kommt, sind jedenfalls die Erfolgsaussichten und Prozessrisiken wesentlich besser abzuschätzen.

Das Privatgutachten kann im Prozess zwar nicht als Beweismittel eingesetzt werden. Aber es ermöglicht präzisen Vortrag zum Sachverhalt. Diesen Vortrag muss die andere Seite dann mit stichhaltigen Argumenten entkräften. Außerdem kann der Gutachter als sogenannter sachverständige Zeuge benannt werden, um den Beweis über einen Mangel und seine Ursache zu führen.

Es muss übrigens nicht unbedingt ein Öbuv sein. Öbuv’s sind öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige. Die müssen die Gerichte üblicherweise beauftragen. Für ein Privatgutachten kann man aber jeden nehmen, den man für sachkundig hält.

Die Kosten für das Privatgutachten kann man übrigens im Prozess jedenfalls dann von der anderen Seite ersetzt verlangen, wenn die Kosten sich im üblichen Rahmen bewegen und man im Zeitpunkt des Auftrags an den Gutachter vernünftiger Weise davon ausgehen durfte, dass ein Gutachten erforderlich ist, um die eigenen Rechte zu wahren. Das ist beim Streit um Mängel eigentlich immer der Fall.

 

Percy Ehlert
Rechtsanwalt und Mediator
Immobilien- und Baurecht
ehlert@pielsticker.de

 

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