Die Erde ist eine Scheibe!

Umgang mit Unvermögen und „frech kommt weiter“

Immer wieder stelle ich mir bei meiner Tätigkeit als Bauanwalt die Frage: „Meinen die das ernst?!“ Da lese ich dann sinngemäß in Schriftsätzen mancher Anwaltskollegen: „Die Erde ist eine Scheibe! Beweis: Sachverständigengutachten“. Dann versuche ich immer noch, zu unterstellen, dass der Kollege oder die Kollegin auf der anderen Seite fachlich kompetent ist. Aber ich mache mir Gedanken, was für einen Stuss die andere Seite dem eigenen Anwalt oder der Anwältin erzählt hat. Die eigentliche Frage für mich ist aber, ob die andere Seite tatsächlich keine Ahnung hat oder ob da gerade Selbsthypnose stattfindet. Ist es wirklich Unvermögen? Oder der Versuch, mit frechen Behauptungen vollendete Tatsachen zu schaffen?

In allen solchen Fällen sind nach meiner Erfahrung die einzig wirksamen Gegenmittel: Lage analysieren. Humor. Und dann die anderen dort packen, wo es weh tut. Das ist meistens beim Geld. Manche haben allerdings eine ganz schön lange Leitung. Da kann es eine Weile dauern, bis das Schmerzsignal in der Unternehmensleitung oder im Gehirn des Vertragspartners angekommen ist. Wer sein gutes Recht wahrnimmt, muss solange Ruhe bewahren und die Nerven behalten.

Unwirksame AGB

Da sind die Mitarbeiter der „Kundenbetreuung“, die zusammen mit einer Abschlagsrechnung über 200.000 € dem Kunden großzügig einen Einbehalt von 10.000 € zugestehen. Diese sogenannten Kundenbetreuer übersehen dabei, dass Privatkunden von Gesetzes wegen einen Anspruch auf einen Einbehalt in Höhe von 5 % der gesamten Vertragssumme haben, der bis zur fristgerechten und im Wesentlichen mangelfreien Herstellung des Bauwerks gilt. Der Anspruch auf Einbehalt über 5 % der Gesamtsumme (!) gilt schon bei der ersten Abschlagsrechnung! Dieses gesetzliche Recht der Privatkunden kann durch vertragliche Vereinbarungen nicht wirksam abbedungen werden. In den Vertragsbestimmungen des Unternehmens fand sich sogar ein Verweis auf die entsprechende gesetzliche Regelung. Nur leider haben die Kundenbetreuer die Vertragsbedingungen ihres eigenen Unternehmens nicht verstanden. Unverständliche Allgemeine Geschäftsbedingungen sind aber unwirksam! Und wenn nicht einmal die Mitarbeiter des Unternehmens die eigenen Vertragsbedingungen verstehen, ist wohl der bestmögliche Nachweis erbracht, dass die Regelungen unverständlich und also unwirksam sind.

Um an Geld zu kommen, könnte das Unternehmen jetzt anhand des Gesamtvertrags eine konkrete Abrechnung über alle bisher erbrachten Leistungen vorlegen. Das wird aber verweigert. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Vertriebsmitarbeiter, der den Vertrag mit dem Kunden verhandelt hat, das Unternehmen inzwischen verlassen hat. Und jetzt sieht keiner mehr durch, was genau zu welchem Preis vereinbart worden ist. Die (für das Unternehmen) hässliche Folge davon ist, dass es keine 200.000 € gibt, und auch keine 190.000 €, sondern gar kein Geld! Die Unverständlichkeit bewirkt die Unwirksamkeit aller vertraglichen Zahlungsbestimmungen. Und dann gilt die gesetzliche Regelung. Danach gibt es Geld, wenn der Vertrag im Wesentlichen erfüllt ist und der Kunde die Abnahme erklärt hat. Vorherige Abschlagsrechnungen sind auch nach dem Gesetz möglich. Aber dann, siehe oben, muss das Unternehmen dem Kunden anhand des Gesamtvertrags vorrechnen, welche Teilleistungen bereits abrechnungsreif erbracht wurden.

Kreative Umdeutungen

In den meisten Fällen ist eine Abnahme Voraussetzung dafür, dass ein Bauunternehmen Zahlung verlangen kann. Da habe ich dann schon erlebt, dass von der anderen Seite ein Termin zur Abnahme einer Teilleistung nachträglich zur Abnahme der Gesamtleistung „umgewidmet“ worden ist. Damit tue ich mich schwer, denn die Gesamtleistung war zum bewussten Termin noch gar nicht fertiggestellt. Aber das ist wahrscheinlich eine sehr kleinliche Betrachtungsweise.

Kürzlich konnte ich in einem Schriftsatz lesen, dass in einer größeren Anlage per Aushang Angebote zur Mängelbeseitigung unterbreitet worden seien. Da ist dann der Punkt erreicht, an dem für die anwaltliche Tätigkeit Vergnügungsteuer zu bezahlen ist. Einen Annahmeverzug des Kunden wird man mit einem solchen „Aushang“ jedenfalls nicht begründen können. Wer ein wirksames Angebot machen oder sonst eine rechtlich bindende Erklärung abgeben möchte, muss eben auch sicherstellen, dass dieses Angebot oder die Erklärung den Kunden auch erreicht!

Rechtsanwalt Percy Ehlert
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